Dieser Frage ging eine Vortragsveranstaltung des Sudetendeutschen Sozial- und Bildungswerkes mit der Bildungsstätte Der Heiligenhof, der Akademie Mitteleuropa und des Arbeitskreises Sudetendeutscher Akademiker e.V. im Rahmen des 75. Sudetendeutschen Tages in Regensburg auf den Grund. Der übervolle Saal mit interessierten Zuhörern bewies bereits die Aktualität des Themas. In einem kurzen Einstiegsimpuls des Vorsitzenden des ASA Helge Flöter, in dem er einen Überblick über die Entstehung und die Entwicklung der Sudetendeutschen Frage gab, stützte er sich auf einen Artikel von Hans Knapek, Vorsitzender der Stiftung SSBW, den dieser im Literaturspiegel des ASA 2024 veröffentlichte.
Beide kommen zum Schluss, dass es eine Sudetendeutsche Frage nach wie vor gibt, diese aber inzwischen in erster Linie eine Frage der Tschechen sei, eine Frage, wie die Tschechische Republik mit „ihren Deutschen“ und der eigenen Geschichte umgeht. Es gibt viele hoffnungsvolle Anzeichen, dass 80 Jahre nach der Vertreibung immer mehr Tschechen dies auch so sehen. Beispiele hierfür sind die sehr beachtliche und verdienstvolle Ausstellung „Unsere Deutschen“ in Aussig / Usti nad Labem und der beeindruckende und tief bewegende Versöhnungsmarsch in Brünn, der seit 10 Jahren von meeting.brno veranstaltet wird und mit dem an den Todesmarsch der Brünner Deutschen am 31. Mai 1945 erinnert wird.
Das anschließende Referat von Dr. Miroslav Kunštát, Karlsuniversität Prag und Tschechische Akademie der Wissenschaften, stellte die Sudetendeutsche Frage aus tschechischer Sicht vor. Der Referent gab einen eindrucksvollen Überblick über die Entwicklung der Sudetendeutschen Frage und die Annäherung zwischen Tschechen und Sudetendeutschen, besonders nach der Samtenen Revolution. Dabei wurde deutlich, dass die jahrzehntelange Diffamierung der Sudetendeutschen besonders während der kommunistischen Zeit als Verräter an der Ersten Tschechoslowakischen Republik und als fünfte Kolonne Hitlers bis heute nachwirkt. Dies lässt sich auch an aktuellen Umfrageergebnissen erkennen, die belegen, dass zwei Drittel bis drei Viertel der Tschechen diese ablehnende Haltung gegenüber den Sudetendeutschen noch heute teilen. Dennoch ist die Entwicklung eine hoffnungsvolle, was durch entsprechende Äußerungen von politischen Repräsentanten und vor allem durch die Begegnungen und gemeinsamen Projekte von Sudetendeutschen und Tschechen deutlich wird.

Auch in der anschließenden Podiumsdiskussion mit Dr. Ortfried Kotzian (Sudetendeutsche Stiftung), Steffen Hörtler (Stellv. SL-Vorsitzender) und David Macek (stellv. Festivaldirektor von meeting.brno) wurde diese optimistische Einschätzung geteilt und veranschaulicht. Gerade das Beispiel von meeting.brno, die zuvor den Menschrechtspreis der Sudetendeutschen als Organisatoren des Versöhnungsmarsches am Sudetendeutschen Tag verliehen bekamen, macht Hoffnung auf eine weitere Annäherung. Die Teilnehmer der Podiumsdiskussion machten deutlich, dass die Volksdiplomatie schon viel weiter als die offizielle Politik sei und dass in der zwischenmenschlichen Begegnung eine große Aufrichtigkeit und Anerkennung des jeweils erfahrenen Unrechts und Leides herrsche. Hervorgehoben wurde auch die Funktion der Sudetendeutschen als Brückenbauer, in der Vergangenheit wie in der Gegenwart. Dennoch bleibt die Erwartung, dass die leider immer noch ausstehende klare Einordnung des jeweiligen Unrechts und der Verbrechen in der Vergangenheit, die von deutscher wie sudetendeutscher Seite aufrichtig so benannt und bedauert werden, auch von tschechischer offizieller Seite ebenso deutlich bezeichnet werden. Die Repräsentanten der Tschechischen Republik müssen sich dieser Frage stellen. Nur dann kann sich diese Haltung auch in einem noch größeren Ausmaß in der tschechischen Zivilgesellschaft durchsetzen und sich eine notwendige Veränderung des eigenen Geschichtsbildes durchsetzen.
Die Podiumsteilnehmer waren sich einig, dass Vertreibung grundsätzlich und in jedem Fall geächtet werden müsse, ohne Entschuldigungen und Rechtfertigungen dafür zu suchen, um dieses Unrecht für die Gegenwart und Zukunft zu bannen. Andernfalls werde es immer Nachahmer finden. Eine dauerhafte Verständigung könne nur auf der Grundlage von Wahrheit und Wahrhaftigkeit gelingen, wenn beide Seiten sich trotz gegenseitigem Unrecht in der Vergangenheit einig seien, eine bessere, gemeinsame Zukunft zu gestalten. So bleibt als Fazit der Veranstaltung, dass die Sudetendeutsche Frage immer noch nicht gelöst ist, sie allerdings inzwischen eine Frage der Tschechen geworden ist, nämlich wie sie selbst zu ihrer Geschichte und ihren sudetendeutschen Landsleuten stehen.

