Wochenendseminar vom 10.-12.10.2025
in der Bildungs- und Begegnungsstätte „Der Heiligenhof“ in Bad Kissingen
In Erinnerung an den Beginn der Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus dem Sudetenland legte der Arbeitskreis sudetendeutscher Akademiker e.V. (ASA) 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges den Schwerpunkt seines traditionellen Herbstseminars auf dieses Thema und stieß damit auf großes Interesse in allen Altersgruppen. Im neuen Vortragssaal begrüßte Bildungsmanager Ulrich Rümenapp vom Heiligenhof die interessierten Teilnehmer, der Vorsitzende des ASA Helge Flöter stellte die Referenten und Vortragsthemen vor. In einer abwechslungsreichen Folge von Filmdokumentation (Vertreibung – Odsun: Das Sudetenland, Mathias Schmid / Vit Poláček, 2020) und Zeitzeugenberichten des Schachgroßmeisters Ludek Pachmann im Film sowie der Pädagogin, Künstlerin und Schriftstellerin Annelies Schwarz (Jahrgang 1938), die aus ihrem Jugendbuch „Wir werden uns wiederfinden“ las, wurde den Seminarteilnehmern ein vertiefter Einblick in die Ereignisse nach Kriegsende in Böhmen und Mähren bis zur Vertreibung geboten. Dabei wurden neben den schweren und schrecklichen Erlebnissen auch wunderbare Beispiele für humanes Verhalten einzelner Tschechen und Russen geschildert, so dass ein eindrucksvolles, differenziertes Bild entstand.

Frau Prof. Dr. Daniela Neri-Ultsch, Universität Regensburg, stellte die Ausstellung „Ungehört – die Geschichte der Frauen, Flucht, Vertreibung, Integration“ vor, die sie selbst in Zusammenarbeit mit dem Haus des Deutschen Ostens kuratiert hat. Eindrucksvoll wird darin das Schicksal und die Leistungen der Frauen aus verschiedenen Vertreibungsgebieten mit Nachkriegsgewalt, Internierung in Lagern, Zwangsarbeit sowie der schwere Wiederanfang in Deutschland nachgezeichnet. Schlüssig wurde die unterschiedliche Bewältigung des Heimatverlustes in der ersten und zweiten Generation aufgezeigt. Die Notwendigkeit für Frauen, Aufgaben und Berufe ihrer Männer übernehmen zu müssen, führte schließlich zu einem nachhaltig veränderten Rollenbild der Frau.

Um die Vorgänge im Sudetenland in den größeren Zusammenhang einzuordnen, präsentierte der Historiker und Buchautor Dr. Michael Hartenstein die Geschichte der Oder-Neiße-Linie. Dabei ging er der Frage nach, inwieweit die „Westverschiebung“ Polens und die „Umsiedlung“ der deutschen Bevölkerung Kriegsziele der Alliierten oder Postulat der polnischen Politik waren. Der Referent zeigte schlüssig auf, dass die öffentlich formulierten Ziele des polnischen Nationalismus ab Jahresbeginn 1945 nach dem von Deutschland verlorenen Zweiten Weltkrieg mit Hilfe der Sowjetunion verwirklicht werden konnten.

David Heydenreich, M.A. stellte schließlich den Brünner Todesmarsch als Beispiel der Nachkriegsgewalt vor, indem er die Vorgeschichte und Ereignisse um diese Exzesse aufzeigte und der Frage nach den Ursachen nachging. Ausgehend vom Nationalitätenkonflikt seit dem 19. Jahrhundert und der Verschärfung in der Zwischenkriegszeit bis zur Abtretung der Sudetengebiete 1938 und der Errichtung des „Protektorats Böhmen und Mähren“, zu dem auch die Stadt Brünn/Brno gehörte, stellte der Referent die Entwicklung dar, die schließlich in den Tagen ab dem 30.5.1945 zur Zwangsaustreibung der verbliebenen Brünner Deutschen führte. Die Umstände der Vertreibung der ca. 27.000 verbliebenen Brünner Deutschen, darunter v.a. Frauen, Kinder und alte Menschen, bei der ca. 4.200 Menschen starben, wurden anschaulich erklärt. Die vorsätzlichen Tötungen und die Massenvertreibung waren nicht Ausdruck eines spontanen „Volkszorns“, sondern geplant und zweifelsfrei ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Im Anschluss wurde der Bogen in die Gegenwart gespannt mit einer Präsentation zum diesjährigen Brünner Versöhnungsmarsch, der von meeting.brno anlässlich des 80. Jahrestags des Brünner Todesmarsches schon zum elften Mal durchgeführt wurde und die Begegnung von Deutschen und Tschechen ermöglicht. Dabei wurde auch das große Medienecho verdeutlicht, z.B. mit dem ausführlichen Bericht in der Tagesschau. Das Seminar stieß wie alle Heiligenhof-Seminare in Erinnerung an die Vertreibungsverbrechen auf großes Interesse und löste angeregte Diskussionen aus. Die Seminarteilnehmer betonten, dass besonders die Zeitzeugen ihnen den Zugang zum historischen Geschehen erleichterten. Das galt sowohl für die anwesenden als auch für die in Filmbeiträgen interviewten, die in der Ausstellung dokumentierten und in den Vorträgen zitierten Zeitzeugen, durch welche die Unmenschlichkeit des Vertreibungsgeschehens deutlich wurde.

Lesen Sie hierzu auch die Beiträge von Dr. Henry Ertner:
- www.henryertner.com/annelies-schwarz-und-die-kraft-der-erinnerung/
- https://www.henryertner.com/eindruecke-vom-asa-seminar-80-jahre-kriegsende-und-beginn-der-vertreibungen/
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